Das Projekt Landengel der Stiftung „Landleben“ vernetzt medizinische, therapeutische und pflegerische Leistungen im Unstrut­-Hainich­-Kreis in Thüringen. Die mittlerweile 17 beteiligten Akteure setzen Maßnahmen im Bereich der Tele-Medizin um, organisieren ehrenamtliche Fahrdienste und richten in kleineren Orten „Gesundheitskioske“ ein, um Leistungen der Primärversorgung niedrigschwellig zugänglich zu machen.

Das Interview führten wir mit Herrn Christopher Kaufmann (Projektleitung).

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1. Wie kam es zur Idee Ihres Angebotes?

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit habe ich die Lebenssituationen und Bedürfnisse älterer Menschen im Landkreis Unstrut-Hainich-Kreis in Thüringen untersucht. Ich führte hierzu persönliche Gespräche mit älteren Menschen in ihrer Häuslichkeit. Es ging um Themen wie z.B. die gesundheitliche Versorgung und Pflege vor Ort, die Wohnsituation sowie Ängste und Sorgen. Wichtige Inhalte waren z. B. die familiäre Struktur und Unterstützung, die die Person zurzeit erhält. Es wurde deutlich, dass die älteren Einwohnerinnen und Einwohner der dörflich geprägten Region in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Egal, ob es in die Arztpraxis, zum Einkaufen oder zu kulturellen Veranstaltungen gehen soll, ohne eigenes Auto und dem Mangel an öffentlichen Verkehrsmitteln vor Ort ist der regionale Anschluss kaum noch möglich. Schlussendlich ging es aber auch, um die drohende Einsamkeit und die damit verbundene Angst niemanden zu haben, der sich um einen kümmert, wenn man selbst einmal nicht mehr kann. Für die jüngere Generation, so scheint es, gibt es wenig Anreize, langfristig auf dem Dorf zu leben. Wenn das soziale Netzwerk, das Unterstützung bieten könnte nicht vorhanden ist, sehen die älteren Menschen oftmals den Einzug in ein Pflegeheim als einzige Lösung im Alter.
So entwickelte sich meine Vision und der Ansatz, niedrigschwellige Angebote zu schaffen, um Menschen vor Isolation zu bewahren und Unterstützung von außen zu generieren, so dass der Verbleib in der eigenen Häuslichkeit auch im Alter möglich ist.

2. Was macht dieses Angebot in Ihren Augen so wichtig?

In den regionalen Altenhilfestrukturen zeichnet sich ab, dass die örtlichen Akteure häufig für sich allein kämpfen. Nur wenigen gelingt es bisher, zusammenzuarbeiten und Ressourcen langfristig zu bündeln, sodass ein enges Kooperationsnetz entstehen kann. Doch genau das brauchen wir, um der älter werdenden ländlichen Bevölkerung einen niedrigschwelligen Zugang zu medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Leistungen zu bieten. Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden im ländlichen Raum mit besonderer Dynamik deutlich. Dies stellt ein zunehmendes Problem in unseren Dörfern dar, da immer weniger auf die Hilfe von außen gehofft werden kann. Zur Sicherung der Primärversorgung zielt das Projekt Landengel auf eine regionale und multiprofessionelle Zusammenarbeit und Bündelung sozialer sowie ökonomischer Ressourcen ab.

3. Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach besonders wichtig, um die Zielgruppe zu erreichen? Was sollte bei der Konzeption und Umsetzung beachtet werden?

In einer dörflichen Region, in der Menschen sich seit Generationen kennen, ist es vor allem das Vertrauen, das anfangs aufgebaut werden muss, um etwas Neues integrieren zu können. Da meine Familie und ich selbst aus Sundhausen stammen, kenne ich einen Großteil der Menschen und sie kennen mich. Das verschafft mir vor allem bei den älteren Menschen Akzeptanz. Zudem ist es wichtig, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu finden, die in der Region anerkannt sind und somit als Sprachrohr wirken können, um Andere zum Mitmachen zu überzeugen.
In den Vor-Ort-Gesprächen ist es wichtig, den Anliegen der Menschen stets mit einer gewissen Ernsthaftigkeit zu begegnen und nicht zu pauschalisieren indem ich sage: „Och, ja wir probieren das mal.“ Es geht darum, die Bedarfe ehrlich zu erfragen und sich diesen verbindlich anzunehmen. Am Beispiel der kostenlosen Fahrdienste gelingt dies beispielsweise, indem wir regelmäßig mit den Fahrerinnen und Fahrern und Mitfahrenden sprechen und uns Rückmeldungen dazu einholen, was gut läuft und was besser gemacht werden kann. Vor allem die ältere Generation legt großen Wert auf Höflichkeit und Pünktlichkeit. Es erscheint im ersten Blick als „Kleinigkeiten“, entscheidet aber letztlich, ob die Menschen das Angebot akzeptieren oder eben nicht.

4. In Ihrem Netzwerk engagieren sich Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten, Apotheken, Vereine, Schulen, Betriebe sowie die Dörfer und Menschen. Wie kann aus Ihrer Sicht eine erfolgreiche Vernetzung gelingen?

17 Unternehmen sind bereits in enger Kooperation zusammengewachsen. Dies kann nur gelingen, indem alle Beteiligten „mitgenommen“ werden. In zahlreichen Gesprächen, die wir mit unseren Partnern führen, erfragen wir ihre Bedürfnisse und tauschen uns innerhalb der verschiedenen Themenbereiche aus. Wir treffen uns einmal im Quartal, um über die Projektfortschritte zu berichten und neue Impulse aufzunehmen.
Die Projektstruktur ist so aufgebaut, dass alle Prozesse jederzeit für die beteiligten Akteure transparent sind. Hierfür nutzen wir eine Kollaborationsplattform, auf der sich die Kooperationspartner kennenlernen, austauschen und informieren können. Jeder erhält dabei einen direkten Zugriff auf alle relevanten Termine, Dokumente und Vorgänge in unserem Projekt.

5. Welche niedrigschwelligen Angebote konnten als Ergebnis der Kooperationen bereits vor Ort realisiert werden?

Wir, von der Stiftung Landleben, folgten 2016 dem Aufruf des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft (TMIL) zur Förderung von Projekten zur Gestaltung der Folge des demografischen Wandels in Thüringen und beteiligten uns am Wettbewerbsverfahren „Zuschüsse für Maßnahmen und Projekte zur Sicherung der Daseinsvorsorge in den vom demografischen Wandel besonders betroffenen Regionen“. Wir erhielten eine Zuwendung in Höhe von 20.000 € für die Beschaffung eines Kleinbusses (Transporter). Somit konnte das erste Teilprojekt der Landengel – ein Lebenshilfeservice – zur Daseinsvorsorge zuerst in den Dörfern Blankenburg, Sundhausen, Kirchheilingen und Tottleben umgesetzt werden. Egal ob es in die Arztpraxis, zum Einkaufen oder zu kulturellen Veranstaltungen gehen soll. Seniorinnen und Senioren können vom Fahrdienst zur vereinbarten Zeit zuhause abgeholt, auf Wunsch am Zielort begleitet und im Anschluss wieder nach Hause gebracht werden.
Ein weiteres Angebot sind die „Gesundheitskioske“, um insbesondere in kleineren Gemeinden eine Infrastruktur zu erhalten und zu verbessern. In der Realisierung dieser ungefähr 60 qm großen Neubauten, die mit einem Beratungszimmer, einem Büro, einem WC und einer Kaffeezeile ausgestattet sind, erhalten wir Unterstützung von der internationalen Bauaustellung Thüringen (IBA). Ein sogenannter „Dorfkümmerer“ – ein Sozialmanager – wird künftig dort anzutreffen sein, um sich den Bedürfnissen älterer Bewohnerinnen und Bewohner anzunehmen.

6. Was geben Sie denen mit auf den Weg, die ähnliches planen?

Die Region Unstrut­-Hainich­-Kreis ist hauptsächlich von der Landwirtschaft geprägt. Da ist es schwierig, Einwohnerinnen und Einwohner oder Akteure für die Idee „auch etwas im Rahmen der Gesundheitsversorgung erreichen zu wollen“ zu gewinnen. Um Bürgerinnen und Bürger und vor allem Kooperationspartner gewinnen zu können, ist es notwendig, niedrigschwellige Begegnungen zu schaffen. So ist der Anfang oftmals ein Kaffeeklatsch oder das Kinderturnen im Ort. Sie dienen als Türöffner, um dann in einer ruhigen Minute ins Gespräch zu kommen und sein Anliegen – in unserem Fall, die Vision einer regionalen Wertschöpfungskette zur sozialen Daseinsvorsorge, zu veranschaulichen.
Meine Einstellung ist, sich mit kleinen Schritten an das Große heranwagen. Eine wichtige Voraussetzung ist meiner Meinung nach der kommunale Wille. Die Stiftung Landleben ist 2011 aus dem Zusammenschluss verschiedener Kommunen entstanden und initiierte das Projekt Landengel. Indem wir die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bzw. Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher der einzelnen Kommunen von Beginn an in die Steuerungsrunde des Projektes integriert haben, konnten wir einen wertvollen Bezug herstellen und Entscheidungen gemeinsam teilen.

Bei weiteren Fragen zum Angebot

Christopher Kaufmann
Stiftung Landleben
Bahnhofstraße 186 a
99947 Kirchheilingen
Tel.: 036043 72040
Fax: 036043 72043
Mail: 
Web: www.stiftung-landleben.de

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Gesundheitliche Chancengleichheit

Der Kooperationsverbund wurde 2003 von der BZgA initiiert. Sein zentrales Ziel ist die Stärkung und Verbreitung guter Praxis in Projekten und Maßnahmen der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten.

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