Kriterium „Empowerment“

Empowerment-Prozesse befähigen Menschen, ihr Leben selbstständiger und selbstbestimmter zu gestalten. Ziel ist es, sowohl die Kompetenzen einzelner Personen (individuelles Empowerment) als auch die gemeinsamen Fähigkeiten von Personengruppen zu stärken (z.B. eine Selbsthilfegruppe von pflegenden Angehörigen). Empowerment unterstützt ältere Menschen also bei der Entwicklung von Fähigkeiten, mit denen sie ihre Lebensbedingungen beeinflussen können. Dabei gilt es, das Augenmerk auf die vorhandenen Stärken und Ressourcen zu legen (Ressourcenorientierung) und kognitive und funktionale Einschränkungen bei der Zielgruppe zu berücksichtigen.

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Bedeutung von Empowerment

In unserer Gesellschaft werden die Potenziale von älteren Menschen oftmals nicht genug gewürdigt. Kompetenzen von Älteren zu stärken (Empowerment), zeichnet ein anderes Bild vom Älterwerden: Es rückt die Entwicklungsmöglichkeiten und eine möglichst lange Selbstbestimmung in den Mittelpunkt.

Erfahrungen

Die grundlegende Bedeutung von Empowerment in der Gesundheitsförderung illustriert das Angebot „Gesund Älter Werden“: „Für mich ist Empowerment eine Grundvoraussetzung für Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Präventionsangeboten. Das gehört zu unserem Selbstverständnis. Nur dann können wir tatsächlich etwas bewirken. Das kann verschiedene Bereiche betreffen, je nachdem was gerade für einen einzelnen Menschen aktuell ist. Es kann aber auch so etwas wie eine Gruppenentscheidung sein. Ich glaube, dass da sehr viele Ressourcen vorhanden sind. Ich muss es nur zulassen, dass die älteren Menschen sich selbst entwickeln. Ich muss die Rahmenbedingungen schaffen. Ich muss den Raum zur Verfügung stellen. Ich muss ein hohes Maß an Wertschätzung und Vertrauen in die Kompetenzen der älteren Menschen als Beraterin oder Berater haben, ihnen Impulse geben und Angebote machen.“
(Martina Dieckmann, Gesund Älter Werden, Niedersachsen)
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Umsetzungsstufen von Empowerment

Stufe 1: Zielgruppen als Expertinnen und Experten der eigenen Lebenswelt anerkennen

Eine wesentliche Voraussetzung für Empowerment ist eine wertschätzende Haltung der Fachkräfte gegenüber der Zielgruppe. Ihr Expertenwissen für die jeweilige Lebenswelt und -situation wird anerkannt. Die Betroffenen selbst verfügen über vielfältige Kompe­tenzen und Ressourcen, die es zu stärken und zu entwickeln gilt.

Beispiel Stufe 1: Angebot der präventiven Hausbesuche
Ein Angebot der präventiven Hausbesuche verfolgt als Gesundheitsberatung vor Ort das Ziel, die Gesundheit und Selbst­ständig­keit älterer Menschen zu stärken und somit ein möglichst langes Leben im gewohnten Wohnumfeld zu unterstützen. Das Angebot sucht ältere Menschen ab 60 Jahren zu Hause auf, die nicht pflegebedürftig sind. Die Beratungspersonen begegnen den älteren Menschen wertschätzend und mit der Grundannahme, dass die älteren Menschen am besten wissen, wo ihre Gesundheits­poten­tiale liegen und welche Veränderungen sie sich wünschen.

Worauf können wir achten?

Würdigung von Lebenserfahrungen
Ältere Menschen verfügen über vielfältige Ressourcen und Lebenserfahrungen. Essenziell für die Umsetzung von Angeboten der Gesundheitsförderung ist es, an diese Erfahrungen anzuschließen und sie zu aktivieren.


Erfahrungen Stufe 1
Die Einsicht in das Wissen von Betroffenen kann auch dabei helfen, die Einschätzungen der Projektdurchführenden zu ergänzen und zu erweitern: „Wir machen oft die Erfahrung, dass die Menschen, mit denen wir arbeiten, eben doch die Expertinnen und Experten ihres Umfeldes sind. Sie helfen uns Fachleuten zu erkennen: Wo kann man einhaken, wo lassen sich Dinge doch noch einmal inhaltlich verbessern?“
(Markus Runge, Netzwerk „Für mehr Teilhabe älterer Menschen in Kreuzberg“, Berlin)
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Stufe 2: Kompetenzen der Zielgruppe stärken

Dieser Schritt schafft die Voraussetzungen dafür, dass Menschen in schwierigen Lebenslagen ihre vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen entdecken und stärken können.

Beispiel Stufe 2: Angebot der präventiven Hausbesuche 
Im Mittelpunkt der präventiven Hausbesuche stehen die Ressourcen der Menschen, die durch die Beratungen entdeckt und aktiviert werden sollen. Bei der Entwicklung der Aktivitäten hilft das beratende Personal zwar dabei, die jeweiligen Lebens­bedingungen wie Wohnsituation, finanzielle mittel sowie kulturelle- und generationsspezifische Gegebenheiten zu berücksichtigen. Das größte Gewicht bei der Identifizierung und Entwicklung von Aktivitäten erhalten aber die besuchten Menschen mit ihren eigenen Ideen und Wünschen selbst. Indem sie die Möglichkeiten des Handelns der besuchten Menschen steigern, wirken präven­tive Hausbesuche also kompetenzstärkend.

Worauf können wir achten?

Vorhandene Ressourcen stärken
Empowerment beginnt mit der Befähigung der Zielgruppe, die eigenen Bedürfnisse zu äußern. Den Akteuren der Gesund­heits­förderung fällt die Aufgabe zu, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Menschen ihre Bedürfnisse in Handlungsstrategien umsetzen können.


Erfahrungen Stufe 2
Im Rahmen präventiver Hausbesuche in Niedersachsen werden die vorhandenen Ressourcen älterer Menschen in Form von Aktivierungen gestärkt. Ausgangspunkt sind immer die alltäglichen Lebensgewohnheiten der Zielgruppen: „In irgendeiner Form haben ältere Menschen immer individuelle Gesundheitspotentiale, an die wir anknüpfen können. Das gilt auch für Menschen, die sich bereits mit zunehmenden Einschränkungen auseinandersetzen müssen. Wir geben durch ressourcenorientierte Fragen Impulse. In der Medizin würde man fragen: ‚Welche Schwierigkeiten haben Sie beim Treppensteigen?‘ Wir fragen eher: ‚Was klappt gut beim Treppensteigen?‘. Wichtig ist eine lösungsorientierte Beratung. Fragen wie: ‚Was könnte denn Ihr Leben bereichern?‘ oder ‚In welchem Feld können Sie aktiver werden?‘ In der persönlichen Beratung zu Hause knüpfen wir an die Lebenssituation an. In dem Gespräch wird dann oft deutlich, wo der ältere Mensch sich Veränderung wünscht.“
(Martina Dieckmann, Gesund Älter Werden, Niedersachsen)
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Stufe 3: Bedingungen schaffen, die Kompetenzen weiterzuentwickeln

Dieser Schritt schafft die Voraussetzungen dafür, dass Menschen in schwierigen Lebenslagen ihre vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen entdecken und stärken können. Die gesundheitsfördernde Arbeit stärkt die positiven Ansätze der Kompetenz­entwicklung, indem sie Anknüpfungsmöglichkeiten an weitere dauerhafte Angebote fördert. Dabei wird die Eigeninitiative unterstützt.

Beispiel Stufe 3: Angebote der präventiven Hausbesuche 
Wichtig ist es dem Team der präventiven Hausbesuche auch, dass die Kompetenzen nach der eigentlichen Beratung weiter­ent­wickelt werden. Daher vermitteln sie Informationen über bedarfsgerechte gesundheitsförderliche Angebote vor Ort. Das kann beispiels­weise ein Nachbarschaftstreff in der Nähe sein. Falls erforderlich, bieten sie auch eine anfängliche Begleitung für Aktivi­täten außer Haus an. Ein paar Monate nach der Erstberatung schreiben sie die besuchten Menschen erneut an, erkundigen sich über die Entwicklung und erfragen, ob weiterer Vermittlungs- und Beratungsbedarf besteht.

Worauf können wir achten?

Fachkräfte: Befähigen statt vertreten
Empowermentprozesse umzusetzen bedeutet für Fachkräfte, Entwicklungen anzustoßen, ohne selbst zu stark einzugreifen.


Erfahrungen Stufe 3
Was dies konkret, beispielsweise für Fachkräfte in der Pflegeberatung, bedeutet, beschreibt Dr. Katharina Graffmann-Wechke, Leiterin der AOK Pflege Akademie der AOK Nordost: „In der Pflegeberatung ist dies ein ausschlaggebender Faktor: Eine gute Beratung befähigt und stärkt die Menschen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, eine Entscheidung zwischen einer Auswahl von 20 stationären Pflegeeinrichtungen zu fällen. Hier gilt es herauszuarbeiten, welcher Bedarf besteht (religiöse Hintergründe, Thema Demenz etc.), und die Menschen zu befähigen, sich zu entscheiden. Dieser Prozess hängt ganz stark an der Qualifizierung der beratenden Personen.“

Die ehem. stellvertretende Geschäftsführerin des Kompetenz-Zentrums Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe in Berlin bemerkt dazu: „Es muss empowert werden und nicht bevormundet. Man muss aushalten, wenn der ältere Mensch sich vielleicht nicht so verhält, wie man es sich vorgestellt hat. Das ist oft ein schmaler Grat. Beispielsweise geht es bei älteren Menschen mit Migrations­hintergrund darum, zu erklären, wie sie sich gesundheitsbewusst verhalten können. Wenn sie sich dagegen entscheiden, sich aktiv und präventiv mit ihrem Alter auseinanderzusetzen, dann möchte ich mich dafür einsetzen, dass das auch okay ist.“
(Dr. Sarina Strumpen, ehem. stellvertretende Geschäftsführerin, Kompetenz-Zentrum Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe, Berlin)
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Stufe 4: Selbstbestimmung und Selbstorganisation fördern

Es werden die Voraussetzungen unterstützt, unter denen die Zielgruppen ihre Lebensbedingungen selbstbestimmt mitgestalten. Das Ziel ist, die Unterstützung und Begleitung durch Fachpersonal Schritt für Schritt überflüssig zu machen.

Beispiel Stufe 4: Angebote der präventiven Hausbesuche 
Die Beratung der präventiven Hausbesuche ist zeitlich begrenzt und dient der Befähigung der besuchten Menschen, die identifi­zierten Aktivierungswünsche soweit wie möglich eigenständig umzusetzen. Durch den vorgesehenen Ansatz werden die Kompe­tenzen der Menschen gestärkt und somit die selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen in den Mittelpunkt gestellt.

Worauf können wir achten?

Selbstorganisation anstelle von Fürsorge
Empowerment-Prozesse können nur gelingen, wenn die Fachkräfte zulassen, dass ältere Menschen tatsächlich selbstbewusster und selbstbestimmter handeln. Die Fachkräfte arbeiten dann nicht mehr für die Älteren sondern mit ihnen. Ein zu großes Fürsorge­verständnis gegenüber der Zielgruppe könnte dem Ziel der Selbstorganisation entgegenstehen.


Erfahrungen Stufe 4
Warum dies wichtig ist, erklärt Annette Piepenbrink-Harraschain vom interkulturellen Seniorinnentreff Migrantinnen aktiv im Alter und Alltag: „Viele meiner Teilnehmerinnen haben keinen Zugang zu den vorhandenen Angeboten. Meine Rolle ist, einmal zu sagen: ‚Es gibt das‘ und auf der anderen Seite auch den Weg dahin zu ebnen. Grundsätzlich ist mein Ziel schon, dass sie selber aktiv werden. Ich will sie nicht bei uns festhalten. Ich übernehme eine Lotsenfunktion. Das ist eigentlich auch Empowerment. Das Ziel: Aktivieren und Hemmschwellen abbauen.“
(Annette Piepenbrink-Harraschain, Seniorinnentreff Migrantinnen aktiv im Alter und Alltag, Frankfurt am Main)
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Handlungsempfehlung für Empowerment

Stärken Sie gemeinschaftliche Kompetenzen!
Der Austausch in der Gruppe ist ein wichtiger Baustein, um gemeinschaftliche Ressourcen zu stärken.


Erfahrungen
Zur unterstützung häuslicher Pflege hat die aoK nordost das Programm „PfiFf“ (Pflege in Familien fördern) aufgelegt, in dem pflegende Angehörige gemeinsam geschult und in ihrem Alltag unterstützt werden. Die Programmdurchführenden beschreiben, wie diese Termine bei der Bewältigung der oft schwierigen Pflegesituation unterstützen können: „Es kann beobachtet werden, dass wenn pflegende Angehörige mindestens dreimal in einer Gruppe zusammenkommen, der Bedarf entsteht, sich weiter zu treffen. Es braucht dann wiederum Kümmerer, die das ermöglichen. Der Austausch von pflegenden Angehörigen im Rahmen einer Selbsthilfegruppe leistet einen wichtigen Beitrag zur Befähigung. Das Treffen und der Austausch wirken bereits gesundheitsfördernd. Menschen wachsen mit ihren Aufgaben und Erfahrungen.“
(Dr. Katharina Graffmann-weschke, Pflege in Familien fördern (PfiFf), Berlin)

Im Rahmen des Projektes „Club 2. Frühling“, ein Angebot für ältere Migrantinnen in Berlin, konnte die erfahrung gemacht werden, dass deren Potentiale (z. B. selbstbewusstes auftreten) auch durch gemeinsame Aktivitäten angeregt werden können. „Wir haben gemeinsame Theater- oder Museumsbesuche angeboten. Es war auch ein Ziel, die Stadt wirklich als Lebensraum erfahrbar zu machen. Nicht nur den kleinen Kreis, in dem man sich sowieso bewegt, wo man seinen Arzt, Einkaufsmöglichkeiten sowie seine Nachbarn im Kiez hat. Die älteren Migrantinnen sind zum Teil seit 50 Jahren hier und kennen die Stadt überhaupt nicht. Durch diese gemeinsamen Aktivitäten hat sich vieles entwickelt, beispielsweise das Selbstbewusstsein, sich im eigenen Lebensraum zurecht zu finden.“
(Neriman Kurt, Club 2. Frühling, Berlin)
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Good Practice-Beispiel

Generationsnetzwerk Gelsenkirchen
Das Generationennetz Gelsenkirchen e. V. hat zum Ziel, die Lebensqualität älterer Menschen zu fördern und sie dabei zu unterstützen, möglichst lange selbstständig und nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben. Im Generationennetz arbeiten viele private, gemeinnützige und städtische Einrichtungen zusammen. Es betreibt vier Infocenter mit 36 Außenstellen, die sich in fast allen Stadtteilen Gelsenkirchens befinden. Die Mitglieder des Generationennetzes fördern Selbstbestimmung und Selbstorganisation, beispielsweise in Form sogenannter ZWAR-Gruppen (ZWAR = Zwischen Arbeit und Ruhestand), welche anfänglich von einer hauptamtlichen Kraft begleitet werden. ZWAR-Netzwerke sind Gruppen, in denen sich interessierte menschen ab 55 Jahren vor ort treffen, um gemeinsam und in Eigenregie ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Während der Begleitung werden die vorhandenen ressourcen und Kompetenzen identifiziert und gestärkt, so dass die teilnehmenden Personen ihre Aktivitäten anschließend eigenverantwortlich planen können. Die Gruppenmitglieder erhalten in den ZWAR-Gruppen also ein „Rüstzeug“, mit dem sie nach eigenen Vorlieben neue gemeinsame Ziele umsetzen können. Außerdem unterstützt das Generationennetz die Seniorenvertreterinnen und Nachbarschaftsstifter (SeNas) bei ihren Aktivitäten. Diese ehrenamtlich in ihrem Viertel Engagierten geben älteren Menschen Rat und Unterstützung, vermitteln Nachbarschaftshilfe und versuchen Einfluss zu nehmen, damit die Nachbarschaften senioren- und familienfreundlicher gestaltet werden.
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Hinweis

Weitere anschauliche Erfahrungen für Empowerment dokumentieren sich in den Projekten, die vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit bereits als Good Practice-Projekte ausgezeichnet wurden. Beispiele können über die Projektdatenbank recherchiert und abgerufen werden.

Weitere Kriterien